Nur noch digital – und wo bleibt der Patient?

Auf dem 24. Prothetik Symposium stand die Digitalisierung in Zahnmedizin und Zahntechnik im Fokus

Ganz nach dem Tagungsmotto widmeten sich die Referenten des 24. Prothetik Symposiums, das am 27.November 2021 stattfand, der anhaltenden Digitalisierung in der Zahnmedizin und Zahntechnik in Hinblick auf Chancen und Potentiale, aber auch der Verantwortung ihren Patienten gegenüber. Die Begrüßung der Teilnehmer vor den Bildschirmen übernahmen Timo Bredtmann, Leiter Marketing und Vertrieb Deutschland bei Merz Dental, und Dan Krammer, Programmplanung Zahntechnik beim Quintessenz Verlag. Im Anschluss führten Prof. Dr. Jan-Frederik Güth, Leiter der Poliklinik für Zahnärztliche Prothetik der Universität Frankfurt am Main, und ZTM Hans-Jürgen Stecher aus Wiedergeltingen durch die Veranstaltung. Kurzfristig aufgrund der aktuellen Corona-Lage zu einer Online-Veranstaltung umgeplant sorgte der Quintessenz Verlag für einen technisch störungsfreien Ablauf und stellte mit seinem Studio in Berlin auch die Bühne für einen Teil der Veranstaltung in diesem Jahr.

Zahnersatz digital – das Genfer Konzept

In den Fortbildungstag startete Dr. Malin Strasding mit dem „aktuellen Genfer Konzept“, das den Weg vom analogen zum digitalen Zahnersatz unter den Aspekten Patientenbeteiligung, Vorhersagbarkeit, Langlebigkeit, Qualität, Effizienz und Kosten berücksichtigt. Mittels digitaler Planungen und Workflows könne die Funktion von Zahnersatz dabei bereits während der Entstehung geprüft und dem Patienten visuell vorgestellt werden. Auch führe der Einsatz von digitalen Abläufen bei der Erstellung von Zahnersatz für eine deutlichere Effizienz und spare somit Kosten ein. Die Qualität der digitalen Abformungen hat laut Dr. Strasding insgesamt schon einen sehr hohen Standard erreicht. Leider können aber die Impressionen der Schleimhaut noch nicht dargestellt werden. Durch den Einsatz der digitalen Workflows seien alle digitalen Daten für einen mögliche notwendige Neuanfertigung sofort wieder nutzbar, was den Zeitfaktor deutlich reduzieren würde.

Komplexe Revision einer Teleskop-Prothese. Patientengerecht und prospektiv dank digitaler Technologien

ZTM Martin Weppler stellte die Überarbeitung einer 12 Jahre alten herausnehmbaren Prothese vor. Was zunächst nach einer einfachen Reparatur aussah, entpuppte sich als aufwändige Rekonstruktion. Die Mischung aus digitalen und analogen Prozessschritten war dabei der Schlüssel zum Erfolg. Digitalisierung, so Weppler, sei ein Quantensprung in der Zahntechnik und modellfreies Arbeiten damit Wirklichkeit. Und wo bleibt hier der Patient? Nach seiner Meinung kann man ihn mit den neuen Tools während des gesamten Prozesses abholen und begleiten – er wird ankommen und bleiben. Der Patient werde es den Behandlern danken.

Qualität ist kein Zufall – Jochen Peters als Labortester

ZTM Jochen Peters gewährte dem Auditorium einen Einblick in seine Tätigkeit als Kursleiter und Berater und zeigte anhand praktischer Beispiele wie wichtige es ist, auf die richtige Okklusion bei Versorgungen zu achten. Mit der Frage „Schleifen Sie noch oder zementieren Sie schon?“ zeigte Jochen Peters, dass durchschnittlich in jeder Praxis pro Tag ca. 45 min Arbeitszeit durch Einschleifen verloren gehen. Die vorhergehenden Fehler entstehen dabei sowohl in den Praxen als auch in den Laboratorien. Dabei ist Wissen um die Funktion gefragt, denn das Material kann diese Fehler später nicht mehr egalisieren. Materialermüdung und Defekte entstehen laut Peters eher aus mangelnder Funktion als aus Fehlern im Material. Als Fazit empfiehlt er mehr Standardisierungen in den Arbeitsabläufen und mehr Verantwortung der einzelnen Prozessteilnehmer für ihre Arbeit.

Erste Erfahrungen mit MDR nach 6 Monaten – Qualitäts- und Risikomanagement

Mit Einführung der MDR, so berichtete Karl-Heinz Martiné, werden die Anforderungen an Sonderanfertiger weiter erhöht. Besonders hervorzuheben sei dabei, dass diese ein Qualitätsmanagementsystem gemäß der MDR aufbauen müssen und besondere Anforderungen in Bezug auf die klinische Bewertung (incl. der klinischen Nachbeobachtung), des Risikomanagements sowie der proaktiven Überwachung nach dem Inverkehrbringen der Medizinprodukte bestünden.  Der Artikel 10 /MDR fordere bei den allgemeinen Pflichten der Hersteller unter anderem eine Standardisierung der Abläufe im Betrieb sowie die Klärung von Verantwortlichkeiten. Auch die klinische Nachbeobachtung ist ein wichtiger Punkt, der in jedem Labor allein schon durch Reklamationen bekannt sein solle. Nur durch eine konsequente Digitalisierung kann der zu dokumentierende Aufwand wirtschaftlich erbracht werden. Martinés Tipp lautet: Keine Angst bei bewährten Materialien, aber Augen auf bei neuen, noch nicht oder nur wenig erprobten Materialien!

Möglichkeiten und Grenzen der endodontischen Zahnerhaltung

Durch die Entwicklung neuer Technologien wie flexibler Feilen, der Einführung von Mikroskopen zur Erleichterung bei der Kanalsuche bis hin zum Einsatz von DVTs konnten große Fortschritte für erfolgreiche endodontische Behandlungen erzielt werden. Dr. Christian Diegritz zeigte in seinem Vortrag die Möglichkeiten, aber auch Grenzen, der Zahnerhaltung auf, denn Zahnerhaltung sei ein Stück Lebensqualität und nicht jede Situation erfordere gleich eine Implantatversorgung. Eine erfolgreiche Endotherapie ist abhängig von der Erfolgswahrscheinlichkeit, dem Wunsch des Patienten und auch vom Behandler. Der Vergleich der Patientenzufriedenheit bei der Versorgung mit Implantaten und endodontisch behandelten Zähnen zeigten, dass Patienten einen Zahnerhalt präferieren.

Monolithische Restaurationen – Innovation oder biomechanisch – optischer Kompromiss?

Prof. Dr. Jan-Frederik Güth ging in seinem Vortrag der Frage nach, ob es sich bei monolithischen Restaurationen um eine echte Innovation oder eher einen biomechanischen-optischen Kompromiss handle. Spannend sei die Entwicklung der Materialien in punkto Stabilität und Ästhetik. Er berichtete von Pilotstudien über unterschiedliche Versagensmuster je nach Material bei Zirkon und Metall. Derzeit könne man das optimale Material für ein Abutment einer Implantatversorgung nicht benennen. Jedoch stelle sich die Frage, ob das prothetische Risiko nicht niedriger als das an einem Halteapparat einzustufen sei. Kliniker sollten sich beim Einsatz monolithischer Restaurationen der optischen Möglichkeiten und Limitationen des gewählten Materials bewusst sein und diese gegen die biomechanischen Stärken und Schwächen indikationsbezogen abwägen.

Zirkonoxid Keramik – Vorhersagbare Ergebnisse durch strukturierte Kommunikation zwischen Praxis und Labor

Dr. Mathias Keller und MDT Shahab Esfarjani stellten gleich am Anfang die Frage nach der Definition einer erfolgreichen ästhetischen Versorgung. Subjektiv sei es die visuelle analoge Wahrnehmung, objektiv unterscheide sie sich nach roter (nach Führhauser, 2004) und weißer (nach Belser, 2009) Ästhetik. Natürlich haben sowohl die Zähne als solches als auch die Höhe der Gingiva einen großen Einfluss auf die Ästhetik, die bei der Rekonstruktion beachtet und erreicht werden müsse. Die Zusammensetzung der Materialien, Transluzenz, Opazität, Gerüststärke und Platzverhältnisse seien dabei nach wie vor die entscheidenden Faktoren. Das Team arbeitete nach einem klar definierten Workflow. Gutes Bildmaterial ist dabei genauso wichtig wie eine definierte Farbnahme. Die Kommunikation steht für die beiden ganz oben und beginnt immer am Anfang einer Arbeit, um gemeinsam zu einer optimalen Materialauswahl unter Berücksichtigung aller medizinischen, technischen und ästhetischen Anforderungen für hochwertigen Zahnersatz zu gelangen.

Schienentechnik, digital und analog – ein Vergleich

In einem Vater (analog) / Sohn (digital) Vergleich stellten sich ZTM Hans-Jürgen Stecher und ZT Sebastian Stecher den Fragen wie die zahntechnische Zukunft gestaltet werden kann und ob sich die analoge Fertigung noch lohne. Alle Arbeitsschritte zur Erstellung einer adjustierten Aufbissschiene wurden zeitlich erfasst und verglichen. Trotz der insgesamt längeren Zeit sprechen noch einige Punkte für die analoge Schiene. Die Herstellung könne ggf. schneller sein, da man von keinen Lieferzeiten abhängig ist und die Wertschöpfung im Labor bleibt. Das digital unterstützte Herstellverfahren sei insgesamt günstiger, man kann auf bessere Materialqualitäten zurückgreifen und es sei möglich eine konstante Ergebnisqualität zu erreichen. Fazit der beiden Referenten ist, dass man je nach Situation entscheiden sollte.

Bits and Bytes – keine Angst, sie beißen nicht! Ein Blick auf die dentale Transformation

Einen Blick über den Tellerrand in die digitale Welt ermöglichten ZTM Pawlos Stilos und Benjamin Viethen. Ohne gute Kommunikation komme man nicht zum Erfolg. B. Viethen stellte seine täglich genutzten Tools zur Organisation, asynchronen und live Kommunikation, sowie zur Wissensteilung vor. Die Nutzung ist dabei vollkommen unabhängig von seinem Arbeitsplatz und für alle Beteiligten möglich. Diesen Wandel sieht auch ZTM P. Stilos im dentalen Bereich und stellt sich die zukünftige Kommunikation zwischen Praxis und Labor in Form einer übergreifenden Plattform vor. Aufnahme der Patientendaten, Integration externer Dienstleister für das CA-Design in unterschiedlichen Zeitzonen, Rückführung dieser Daten ins Labor und Umsetzung durch die eigene Struktur könnten so einfach umgesetzt werden. Er sieht dabei die große Chance, ortsunabhängig zu arbeiten, Zeitvorteile bei der Nutzung unterschiedlicher Zeitzonen zu nutzen oder den einzelnen Arbeitsplatz unter dem Aspekt des Fachkräftemangels attraktiver zu gestalten. In seinem persönlichen Arbeitsalltag sei das ortsunabhängige designen von Prothesen bereits mit Einsatz des Baltic Denture System zur Herstellung von digitalen Prothesen möglich.

In sechs Solo- und drei Teamvorträgen stellten die Referenten aus den Bereichen Wissenschaft und Praxis fest, dass der Patient für sie immer am Anfang und am Ende ihrer Arbeit steht, sie dazwischen dessen Bedürfnisse in der zahnmedizinischen und zahntechnischen Behandlung bei allem Fortschritt nicht aus den Augen verlieren dürfen. Merz Dental und der Quintessenz Verlag boten trotz der Umstände eine interessante und erfolgreiche Veranstaltung mit vielen Anregungen und Tipps für den dentalen Alltag. Die Veranstalter freuen sich auf die Jubiläumsveranstaltung im nächsten Jahr: das 25. Prothetik Symposium am 26. November 2022 dann wieder live in Berlin.